Quantenphysik
Science-Veröffentlichung: Kollektives Verhalten von Fermionen Teilchen schwingen im gleichen Takt
13. Januar 2014
Pressemitteilung der Universität Hamburg
10. Januar 2014
Ob Vogelschwärme, Sanddünen oder Straßenverkehr: Im Alltag beobachten wir
immer wieder sogenanntes kollektives Verhalten, bei dem sich alle
beteiligten Objekte – gewollt oder ungewollt – synchron bewegen. Ein
Forschungsteam des „Hamburg Centre for Ultrafast Imaging (CUI)“ der
Universität Hamburg hat nun ein neuartiges Quantensystem realisiert, das aus
mehr als einer Million Atome bestand, die sich entgegen aller Erwartungen
ebenfalls vollständig kollektiv verhielten. Das berichten die
Wissenschaftler in der Ausgabe des Magazins „Science“ vom 10. Januar 2014.
Die CUI-Forscher aus dem Team von Prof. Dr. Klaus Sengstock konnten im Labor
erstmals beobachten, wie eine Wolke ultrakalter Kalium-Atome kollektiv
schwingt, quasi einen quantenmechanischen Wiener Walzer tanzt. Das Besondere
dabei: Es handelt sich um fermionische Teilchen, die in der Physik
eigentlich dafür bekannt sind, nicht gemeinsam zu agieren. Fermionen sind
eine von zwei grundlegenden Teilchenarten und unterscheiden sich von der
anderen Art, den Bosonen, nur durch eine einzige quantenmechanische
Eigenschaft: ihren Spin. „Dafür gibt es kein klassisches Analogon“, erklärt
Dr. Christoph Becker, wissenschaftlicher Leiter des Projektes. „Am besten
kann man sich den Spin als eine Drehung der Teilchen um sich selbst
vorstellen.“ Dieser hat drastische Konsequenzen für das „Sozialverhalten“
von Teilchen. Während Bosonen einen ganzzahligen Spin haben und dazu
tendieren, sich alle gleich zu verhalten, sind die Fermionen mit ihrem
halbzahligem Spin Einzelgänger, die sich sozusagen soweit wie möglich aus
dem Weg gehen.
Fermionen wie z. B. Neutronen, Protonen oder Elektronen sind es auch, aus
denen sich Materie zusammensetzt, wodurch kollektives Verhalten in realen
Quantensystemen nur selten zu finden ist. Wenn doch, dann führt dies oft zu
unerwarteten und völlig neuen Effekten, welche auch technisch von großem
Nutzen sein können. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Supraleitung, bei
der bestimmte Stoffe auf extrem tiefe Temperaturen gekühlt werden, sodass
sich Elektronen in Paaren ohne Widerstand durch den Leiter bewegen können.
Den Forschern der Universität Hamburg gelang es nun, Atome des Isotops
40Kalium mit Laserlicht fast bis auf den absoluten Nullpunkt (minus 273° C)
abzukühlen und sie dadurch zu verlangsamen. Bei diesen Temperaturen bilden
die Teilchen einen Quantenzustand, der im Fachjargon als „Fermisee“
bezeichnet wird – nach Enrico Fermi, einem Pionier der Quantenmechanik. Erst
seit einigen Jahren ist es technisch überhaupt möglich, in diesen
Temperaturbereich vorzustoßen.
„Wir hatten bereits beobachtet, dass sich bosonische Atome kollektiv
verhalten“, berichtet Klaus Sengstock, experimenteller Leiter des Teams. „Es
war aber eine völlig offene Frage, was in diesem Fall mit Fermionen
passieren würde.“ Nach dem Abkühlen manipulierten die Forscher die Fermionen
durch Laserlicht und richteten dadurch den Spin aus. Erstmals wurde
beobachtet, wie der Spin aller Fermionen im Gleichtakt zu schwingen beginnt
– ähnlich einem Wiener Walzer, bei dem sich alle Paare auf der Tanzfläche
genau mit der gleichen Geschwindigkeit drehen.
Gemeinsam mit Kollegen aus Dresden und Barcelona konnte das Phänomen
experimentell und theoretisch genau ergründet werden. „Alle Atome sind
miteinander verknüpft, deswegen das überraschend kollektive Verhalten“,
erklärt Prof. Maciej Lewenstein aus Barcelona, der das Theorieteam leitet.
„Für solch komplexe Systeme gibt es keine einfache Formel. Wir mussten eine
neue effektive Theorie ausarbeiten, um das Experiment korrekt beschreiben zu
können.“ Die Forscher fanden zudem heraus, dass das kollektive Verhalten ein
Quantenphänomen ist, das sehr sensitiv auf Störungen wie etwa
Temperaturveränderungen reagiert.
Die Ergebnisse der Grundlagenforschung erweitern das Verständnis von
physikalischen Vielteilchensystemen und damit von fundamentalen Aspekten der
Natur. Anwendungen könnten im Bereich der Quantentechnologien liegen, etwa
in Form von Quantensensoren oder in der Quanteninformationstechnologie.
Science 10 January 2014: Krauser et al., vol. 343 no. 6167 pp. 157-160
'Giant spin oscillations in an ultracold Fermi sea':
https://www.sciencemag.org/content/343/6167/157.full
Für Rückfragen:
Prof. Dr. Klaus Sengstock
Universität Hamburg
Institut für Laserphysik
Tel.: 040/8998-5201
E-Mail: sengstock@physik.uni-hamburg.de
Dr. Christoph Becker
Universität Hamburg
Institut für Laserphysik
Tel.: 040/8998-5203
E-Mail: cbecker@physnet.uni-hamburg.de